Ist Teslas Ruf (und Marktbewertung) als „KI-Firma“ noch gerechtfertigt?

Während Teslas Börsenkapitalisierung wieder mal Höchststände erreicht – $1,3 Billionen, also umgerechnet €1,1 Billionen – und das trotz eingebrochener Verkaufszahlen in Europa (-40%) und Nordamerika (-20%), stellt sich die Frage, wie es zu dieser Bewertung kommt, und ob sie gerechtfertigt ist.

Tesla ist kein traditioneller Autobauer. Nicht nur, weil das Unternehmen es geschafft hat, aus dem Nichts mit Elektroautos die gesamte Industrie zur Umstellung auf diese Antriebsform zu zwingen, sondern weil sich die Fremonter immer auch als Softwareunternehmen sahen. Und sogar mehr als das: Sie sehen sich als KI-Unternehmen.

Nicht nur sind die Autos sehr softwarezentriert mit einer bislang immer noch unerreichten Qualität bei der Bedienung und der Benutzerschnittstelle am Touchscreen und mit der App, die Full Self Driving (FSD) ist zugleich eine autonome Fahrfunktion, die kein anderer Hersteller auf diesem Niveau und Funktionsumfang anbieten kann. Und hier handelt es sich um eine künstliche Intelligenz.

Tesla sieht sich damit zurecht als KI-Unternehmen, dessen Bewertung im Vergleich zu traditionellen Autobauern damit gerechtfertigt ist, beziehungsweise war. Das Versprechen an und die Erwartung der Investoren, dass damit neue Märkte aufgeschlossen werden können, die Tesla dank dieser Expertise und Software besetzen kann, befeuerte den Aktienkurs und damit die Marktbewertung.

Mit dem Tesla Optimus humanoiden Roboter schmiedet Tesla zugleich ein weiteres heißes Eisen im Feuer. Humanoide Roboter sollen lauf Musk einmal 80% des Umsatzes von Tesla ausmachen und damit ein größeres Geschäft werden als die Autos. Bis 2035 erwarten Analysten weltweit bis zu 225 Millionen humanoide Roboter in Haushalten allein. bei einem Marktvolumen von $2,8 bis $3,1 Billionen.

So weit, so gut. Das macht bislang alles Sinn. Doch hinter den Tesla-Kulissen scheint es nicht so reibungsfrei zuzugehen. Schon in den vergangenen Jahren war das Tesla KI-Team im Tesla Dojo von Umbrüchen und Verwerfungen geprägt. Mehrmals gingen Teile der Führungsmannschaft oder wurden sie von Musk gegangen. Und Anfang August berichtete electrek von einem neuerlichen Abgang von KI-Experten des Tesla Dojo, der mit 20 Mitarbeitern so stark war, dass das Tesla Dojo-Team damit effektiv als nicht mehr existent zu betrachten war. Erst im kommenden Jahr erwartet Tesla wieder ein funktionsfähiges Dojo 2.

KREATIVE INTELLIGENZ

Über ChatGPT hat man viel gelesen in der letzten Zeit: die künstliche Intelligenz, die ganze Bücher schreiben kann und der bereits jetzt unterstellt wird, Legionen von Autoren, Textern und Übersetzern arbeitslos zu machen. Und ChatGPT ist nicht allein, die KI-Familie wächst beständig. So malt DALL-E Bilder, Face Generator simuliert Gesichter und MusicLM komponiert Musik. Was erleben wir da? Das Ende der Zivilisation oder den Beginn von etwas völlig Neuem? Zukunftsforscher Dr. Mario Herger ordnet die neuesten Entwicklungen aus dem Silicon Valley ein und zeigt auf, welche teils bahnbrechenden Veränderungen unmittelbar vor der Tür stehen.

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Und das in einem Umfeld, wo andere Unternehmen bereit sind irrsinnige Summen für KI-Talente auszugeben. Mark Zuckerberg hat mit Meta KI-Experten Milliarden angeboten, um sie abzuwerben. Mit anderen Worten: Musk muss hier sehr vorsichtig agieren, wenn er seine KI-Leute nicht gleich wieder verlieren will. Etwas, das er wohl nicht mehr gewohnt ist.

Natürlich hat Musk mit X (vormals Twitter) und x.AI weitere KI-Teams unter seiner Verantwortung, aber ein großes Sprachmodell hat eben mit einem Foundational Model wenig zu tun, wie es für physische KI für ein autonomes Auto oder einen humanoiden Roboter benötigt wird. Außerdem scheint das X.AI-Team mit Grok vor allem damit beschäftigt zu sein, Musk nicht genehme Aussagen von Grok auszubügeln. Grok gibt „woke“ – um dieses Wort als Synonym für „faktenbasiert“ zu verwenden – die Musk immer wieder aufstoßen.

Doch angesichts des Drucks, der durch Robotaxifirmen wie Waymo und Zoox entsteht, die erfolgreich ihre Flotten im Einsatz haben, der holprige Start von Tesla Robotaxis in Austin, und der Abgang des Tesla Dojo Teams, stellt sich die Frage, inwieweit Tesla eigentlich noch eine KI-Firma ist? Es wird noch schlimmer: Auch der Tesla Optimus ist ohne KI-basierten Foundation Model nichts anderes als eine Blechhülle ohne Funktion. FSD für Autos und Foundational Model für humanoide Roboter sind dann doch gänzlich unterschiedliche Dinge, auch wenn anfánglich die FSD für den Optimus zum Einsatz gekommen ist.

Das Teasern und Ankündigen von KI-Produkten durch Tesla und Musk scheint von der Tatsache ablenken zu wollen, dass Teslas KI-Bemühungen wenn nicht in Trümmern, aktuell doch stark beeinträchtigt sind. Während andere – Figure.AI mit humanoiden Robotern zum Beispiel, oder Waymo und Zoox mit autonomen Fahren – kontinuierliche Fortschritte machen, ist Tesla vor allem mit internen Problemen beschäftigt. Und das zusätzlich zu den Reputationsproblemen, die Tesla durch Musks Aktivitäten im letzten Jahr erlitten hat, und die zu existenzgefährdenden Umsatz- und Gewinneinbußen führen können.

Angesichts der letzten Geschäftszahlen, die dramatische Einbrüche im Geschäft bei einem stark wachsenden Markt sahen, und den wenig guten Nachrichten über das Tesla Dojo, sind der Aktienkurs und die aktuelle Marktbewertung mit Vorsicht zu genießen. Da sehe ich keine Substanz, die sie gerechtfertigt.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

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