Die Suspendierung und nachfolgende vorübergehende Einstellung von Cruise Robotaxi-Dienst in San Francisco und anderen Städten in den USA beschäftigt die Menschen. Die einen wollen es ja schon immer gewusst haben, dass autonome Autos nicht sicher sind und viel zu früh auf die Öffentlichkeit losgelassen worden sind, die anderen verstehen die Aufregung nicht, angesichts von 43.000 Verkehrstoten jedes Jahr in den USA alleine. Deutschland kommt beispielsweise im Jahr 2022 auf mehr als 2.700 Verkehrstote, in Österreich über 300 Verkehrstote.
Die Abfolge
Was ist nun genau passiert, das zur Suspendierung geführt hat? Mitte Oktober war ein Cruise parallel zu einem von einem Menschen gesteuerten Nissan gefahren. Der Nissan-Fahrer überfuhr dabei eine Fußgängerin, die bei Rot über sie Straße gegangen war. Die Frau wurde daraufhin unter das Cruise Robotaxi geschleudert, dass sofort gebremst hatte und zum Stillstand gekommen war. Der Nissan-Fahrer beging Fahrerflucht und konnte bis jetzt nicht gefasst werden.
Mit anderen Worten: Schuld am Unfall hatte vollständig der Nissan-Fahrer. Was nun aber weiter geschah, beschäftigt seither die Öffentlichkeit. Und das lässt sich unterteilen in die nachfolgende Aktion des Cruise Robotaxis, den Behörden-Wirrwarr, und der vorhergegangenen Zwischenfälle.
1. Aktion des Cruise Robotaxi
Nach dem Unfall war das Cruise zum Stehen gekommen. Die Frau war unter dem Fahrzeug eingeklemmt geblieben, was dem Cruise mangels Sensoren am Fahrzeugunterboden nicht bekannt war. Deshalb versuchte das Fahrzeug nach Detektion des Aufschlags der Fußgängerin eine sichere Stelle zu erreichen und fuhr einige Meter (20 Feet) an den Straßenrand, um den Verkehr nicht zu blockieren und zu gefährden. Die Frau wurde dabei mitgeschleift, und das Cruise blieb mit einem Rad auf dem Bein der Frau stehen. Erst die herbeigerufene Feuerwehr konnte die Frau dann aus ihrer misslichen Lage befreien.
Interessant zu wissen ist hier, dass das Cruise sich genau so verhalten hat, wie es die Behörden verlangt hatten. In der Vergangenheit waren immer wieder Berichte von hängen gebliebenen Robotaxis aufgekommen, die den Verkehr blockiert hatten. Die Behörden haben deshalb die Unternehmen aufgefordert, dass die Fahrzeuge sich an eine sichere Stelle bewegen müssen. Ein Beispiel davon, wie das Fahrzeug versucht, eine sichere und nicht blockierende Position einzunehmen, wurde in diesem Video festgehalten:
Dieser Zwischenfall zeigt übrigens auch deutlich, warum es notwendig ist, dass Robotaxis in der Wirklichkeit getestet werden. Dieser Unfall stellt eines dieser selten auftretenden Verkehrsereignisse da, die schwierig vorherzusehen und zu testen sind. Natürlich wünscht man sich, dass es niemals zu Personenschaden kommt, aber, wie ich schon einmal in einem anderen Beitrag festgestellt habe, man eben leider das beste Flugzeug nicht bauen kann, indem man es ausschließlich im Windtunnel entwickelt und testet.
2. Behörden-Wirrwarr
Cruise erhielt (gemeinsam mit Waymo) am 11. August 2023 die Genehmigung, fahrerlose Robotaxis im kommerziellen Betrieb zuerst einmal in San Francisco zu betreiben. Die erteilende Behörde ist die kalifornische Public Utility Comission (CA PUC), die u.a. für die Taxilizenzen zuständig ist. Schon vorher vergab die kalifornische Verkehrsbehörde Department of Motor Vehicles (DMV) Testgenehmigungen. Aktuell haben um die 40 Unternehmen eine solche Genehmigung in verschiedenen Einschränkungen. Die Stadt San Francisco selbst, wie auch die örtliche Polizei oder Feuerwehr haben nur Parteistellung, aber kein Mitspracherecht. Das war im Genehmigungsverfahren ein Kritikpunkt der Stadt.
Auf Bundesebene gibt es dann die National Traffic And Highway Safety Administration (NHTSA), die bundesweite Vorschriften erlässt, und noch das National Traffic And Safety Board (NTSB), das vor allem beim Unfällen die Untersuchungen und Schlussberichte übernimmt.
Man sieht schon, die Kompetenzen sind verteilt und teilweise überlagern sie sich auch. Und das wird nun wichtig, wenn wir die Aussagen einzelner Behörden miteinander vergleichen. Denn das DMV warf Cruise vor, die Aufnahmen des Cruise – das ja immerhin über zwei Dutzend Kameras und einer Reihe von anderen Sensoren verfügt – mit der nachfolgenden Aktion der Behörde vorenthalten zu haben. Cruise wiederum behauptet aber das Gegenteil, nämlich dass es sämtliches Videomaterial den Behörden zur Verfügung gestellt hat.
Hier ist nicht ganz klar, ob alle Behörden dasselbe Videomaterial erhalten haben, ob es spezifische Anfragen nach dem Videomaterial gab, und ob vorsätzlich oder unabsichtlich Videomaterial vorenthalten worden war.
Das DMV jedenfalls sah es als vorsätzliches Enthalten an und entzog Cruise die Lizenz, die CA PUC folgte dann den Tag darauf. Waymo, der Betreiber der anderen Robotaxiflotte, ist davon nicht betroffen und darf weiterhin seine fahrerlosen Robotaxis in San Francisco und Los Angeles betreiben.
3. Vorhergegangene Zwischenfälle
Aufgrund einer Reihe von anderen Zwischenfällen in den Monaten seit der Erteilung der Lizenz, war vor allem Cruise in den Fokus geraten. Von hängen gebliebenen Fahrzeugen, zu Kollisionen mit einem Feuerwehrfahrzeug, einer Kollision mit einem LKW und einem blockierten Einsatzfahrzeug, das dann angeblich zu spät dem Unfallopfer (das von einem Bus angefahren worden war und daraufhin verstorben war), kam jeder kleine oder große Zwischenfall in den Blickwinkel der Öffentlichkeit.
Dabei zeigen erste, noch mit Vorsicht zu nehmende Statistiken, dass Robotaxis um 50 bis 75 Prozent sicherer sind als menschliche Fahrer. So haben sowohl die Swiss Re die Zahlen mit Waymo, wie auch Cruise anhand von zwei Universitätsstudien diese Fakten gezeigt. Mit Vorsicht zu genießen sind sie deshalb, weil die beiden Flotten erst wenige Millionen an Kilometern fahrerlos gefahren sind, während die Vergleichszahlen von menschlichen Fahrern sich auf hunderte Milliarden Kilometer belaufen. Auch fehlen eine Reihe von Daten, weil nicht alle Zwischenfälle mit von Menschen gesteuerten Autos berichtet werden – so wird geschätzt, dass 1/3 nie berichtet wird – während Robotaxis aktuell auf Behördenverlangen jeden noch so kleinen Zwischenfall zu melden haben.
Ebenso zeigten die bisherigen Berichte von Einsatzkräften – die dazu von ihren Vorgesetzten ausdrücklich dazu angehalten worden sind, jeden noch so kleinen Zwischenfall zu melden – über Zwischenfälle mit Robotaxis, dass drei Viertel davon unwesentlich waren. Zwischenfälle mit menschlichen Fahrern scheinen viel häufiger aufzutreten, werden aber erst ab einer bestimmten Schwere gemeldet.
Offene Fragen
Die Vorgehensweise der Behörden und Cruise werfen einige Fragen auf.
- Warum konnte das DMV zuerst die Lizenz entziehen, wenn sie doch eigentlich die CA PUC erteilte?
- Warum folgte dann einen Tag später die CA PUC?
- Wer hat nun wirklich die gesamte Hoheit über die Lizenzvergabe?
- Wie sehen die Schritte dazu genau aus?
- Werden hier behördenübergreifend dieselben Kriterien angelegt oder gibt es Unterschiede?
- Warum wird die Lizenz für die gesamte Robotaxiflotte entzogen, während bei menschlichen Fahrern nicht gleich alle Autos derselben Kategorie still gelegt werden?
Zum letzten Punkt wäre vielleicht auch hinzuzufügen, dass es ein Jahrhundert lang immer wieder Tote und Verletzte gab, weil Fahrer im Rückwärtsgang jemanden übersahen und überfuhren. So starben in den USA alleine 200 Personen pro Jahr daran. Trotzdem wurden Rückfahrkameras erst 2008 in den USA als Gesetz verabschiedet und sind seit 2014 in allen neuen Fahrzeugen einzubauen. Doch die Technologie gibt es viel länger und doch wurden trotz 200 Toten im Jahr keine Autos oder ganze Fahrzeugkategorien deshalb stillgelegt.
Damit ergeben sich weitere Fragen als Konsequenz der Suspendierung:
- Warum wird hier mit unterschiedlichem Maße gemessen?
- Wenn Robotaxis heute schon sicherer sind (siehe die erwähnten Statistiken), schadet eine Suspendierung gesamtgesellschaftlich nicht, da es mehr Tote und Verletzte geben wird, weil wieder menschliche Fahrer verstärkt herangezogen werden?
Schlussfolgerung
Ganz klar möchte ich hier sagen, dass natürlich eine Lösung gefunden werden muss, dass solch ein Unfall nicht wieder vorkommt und ein Robotaxi eine Person mitschleift. Sensoren unter dem Wagenboden und neue Algorithmen sind ein Ansatz, ein andere könnte eine Interaktion mit dem Fahrzeug durch Sprache sein, wo ein Unfallopfer auf diese Weise auf sich aufmerksam machen könnte.
Leider wird es auch in Zukunft zu neuen, unerwarteten, unvorhersehbaren und überraschenden Zwischenfällen kommen, deren Vermeidung dann entsprechend als Verbesserung in die Robotaxiflotte einfließen müssen. Und damit die Robotaxiflotte sukzessive besser machen. Ganz im Gegensatz zur Gesamtheit der menschlichen Fahrern, die insgesamt nie besser werden.
Auch müssen die Behörden lernen, mit Robotaxis besser umzugehen, bessere Kriterien für die Sicherheitsbewertung und Auflagen zu entwickeln. Auch, ab wann eine ganze Flotte still gelegt werden muss und wann nicht. So sieht die aktuelle Vorgehensweise etwas als Überreaktion aus, die Kritiker zufriedenstellen soll, aber gesamtgesellschaftlich Schaden verursachen könnte.
Auch in die Richtung von Cruise muss erwähnt werden, dass vielleicht eine im Zweifelsfall vorsichtigerer Herangehensweise besser wäre. Ich selbst bin an die 130 Mal mit Cruise Robotaxi fahrerlos unterwegs gewesen und habe als Vergleich etwa 20 Fahrten mit einem Waymo. Cruise tendiert doch eine etwas aggressivere Fahrweise als Waymo, auch wenn ich mich nie unsicher gefühlt habe.
Wie auch immer: Robotaxis und autonome Fahrzeuge sind nicht aufzuhalten und was wir hier sehen sind noch die holprigen Anfänge, wo Behörden, Unternehmen und die Öffentlichkeit sich erst aneinander gewöhnen und verstehen lernen müssen.
Update: Um einen Vorstellung davon zu geben, was heute durch menschliche Fahrer verursacht wird, brauchen wir uns nur dieses Video ansehen. Und ja, dem 2-jährigen Jungen geht es gut.
Hier auch noch ein Beitrag der Washington Post, die in eine ähnliche Kerbe schlägt.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
Danke für die tolle Zusammenfassung. Das sind ja wirklich interessante Ereignisse!
Nun, ich würde kritisieren, dass es ja durchaus nachvollziehbar ist, wenn ein vermeintlich intelligentes Auto den Unfall erkennt, aber trotzdem nicht in der Lage ist anzuhalten und jemanden 6m mitschleift, dass das bei auf amerikanisch „unkooperativem verhalten“ eines Autokonzerns, dann die Lizenz entzogen wird.
Und es muss auch okay sein bei solchen Unfällen ein Moratorium einzuführen, solange es keine geregelten Abläufe gibt mit solchen Unfällen umzugehen. Weil Menschen nun Mal Angst bekommen, so sehr dass auch ein Rückschlag für die Technik ist.
Man kann sich eben alle Fahrzeuge einer Marke nur als ‚ein und der selbe fahrer‘ vorstellen, und dazu müsste man eben erst Strukturen und Prozesse schaffen, um diesen effizient zu kontrollieren. Solange ist alles nur ein großer Test.
Natürlich wäre es interessant wie ein Tesla hier reagieren würde, ob der schon weiter wäre mit den Algorithmen, um zu erkennen, dass eine Person sich noch unter dem Fahrzeug befindet.
Schließlich denkt er ja wohl bei den fehlenden Parksensoren ähnlich, wenn er rückwärts fährt…
Autokonzerne sind halt (gerade bei uns) nicht unbedingt für ihre Softwarekompetenz bekannt. Ich denk das muss man schon berücksichtigen.
Und am Ende wärs natürlich auch interessant zu wissen, wies der Frau wohl geht ;)
An sich denke ich, man wird nicht wollen, das Autos von KI gesteuert werden, klassische Algorithmen versprechen doch mehr prognostizierbarkeit. Aber erst wenn der Großteil der Gesellschaft den unterschied versteht, oder alles genug beforscht ist, sollte man endgültige politische Entscheidungen treffen
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