Tesla Gigafactory 4: Wer hat mehr zu verlieren?

Kaum war der Jubel über die Neuigkeit verklungen, dass die europäische Gigafactory von Tesla in Deutschland gebaut werden wird, begann sich bereits der offene und versteckte Widerstand zu formieren.

Der offene Widerstand manifestierte sich die vergangenen Tage in Demonstrationen, bei der sich die Fabrikgegner um das Wasser und den Wald auf dem Grundstück, auf die Gigafactory entstehen soll, Sorgen machen. Auch sollen in dem Nutzwald heimische Fledermäuse umgesiedelt werden. Die Einheimischen fürchten sich nicht nur vor drohenden Eingriffen in die Natur, sondern auch dass es mit der Idylle in ihrer Gegend vorbei sein wird. Einige Anrainer sorgen sich um den Verkehr, den im Endausbau mehr als zehntausend Mitarbeiter verursachen werden, andere befürchten einen möglichen Anstieg von Kriminalität(!).

Auch die Gewerkschaften wetzen schon die Messer und stellen sich „auf Krach“ ein. So mokierte die IG Metall die Tatsache, dass die Stellenausschreibungen für die Gigafactory auch auf Polnisch verfasst waren. Immerhin ist die polnische Grenze gerade 60 Kilometer entfernt, scheint also ein natürliches Einzugsgebiet für qualifizierte Arbeitskräfte zu sein. Die Gewerkschaft aber malt bereits den Teufel des Lohndumping an die Wand, ungeachtet der Tatsache, dass die EU dem einige Regeln vorschiebt, und die Staatsbürger anderer EU-Länder nicht benachteiligt werden dürfen.

Die Befürworter der Fabrik sammeln sich auch. Zu jeder Demonstration tauchten auch eine teils größere Anzahl an Unterstützern an. Vorerst allerdings ist das Gelände wegen nicht detonierter Sprengmittel, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammen, teilweise abgesperrt.

Weniger öffentlich, umso wirkungsvoller aber könnte sich hinhaltender Widerstand aus Politik und Verwaltung auf die Fertigstellung der Gigafactory auswirken. So drohte unverblümt Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) in einem Interview mit „Ich bin ganz froh darüber, dass wir da nicht die Gesamtverantwortung haben, sondern Tesla auch seines eigenen Glückes Schmied ist“ und „Sie [Tesla, Anm. d. Red.] müssen die Unterlagen so vollständig und hoch qualitativ einreichen, dass auch eine schnellstmögliche Prüfung gegeben ist“.

Solche Kommentare signalisieren nicht nur an Tesla, wer hier das Kommando hat, sondern auch intern an die eigene Bürokratie, dass wohl da einer auf scharf gemacht werden soll. Zwar glaubt der Minister, dass die Gigafactory in eineinhalb bis zwei Jahren fertig sein kann, aber das beziehe sich auch auf die EU-Förderungen, mit denen man Tesla angelockt habe. Generell sei der Zeitplan die Fabrik 2021 zu eröffnen, laut den Behörden, „ehrgeizig“.

Signalisierung

Und weil wir gleich bei Signalisierung sind: der Bau der Tesla Gigafactory wird international genau beobachtet. So sind in Schanghai vom Spatenstich der Tesla Gigafactory 3 bis zur Auslieferung der ersten Fahrzeuge gerade mal 357 Tage vergangen. Wie schnell in China generell Dinge angepackt werden, sieht man gerade beim Ausbruch des Coronavirus. In Wuhan entstehen gerade zwei Spitäler für 1.000 Patienten in weniger als Tagen.

Auch andere Regionen sind bereit, Unternehmen bei Bau von Fabriken in sehr kurzer Zeit unter die Arme zu greifen. So erwartet der kalifornische Elektroautohersteller Lucid Motors, dass aus seiner Anfang Dezember 2019 in Angriff genommene Fabrik noch vor Ende 2020 die ersten Autos rausrollen werden.

Dagegen steht mit dem Berliner Airport BER das Gegenstück, das bereits heute als internationales Lachstück gilt. Nach 15 Jahren Planung begann der Bau 2005 mit 2011 als der damals geplanten Fertigstellung. 2020 ist der Flughafen aber immer noch nicht eröffnet. Auch andere Großprojekte, wie Stuttgart 21, fehlende Stromtrassen oder der einer Industrienation unwürdigen Internetbreitbandzugang sind prominente Beispiele von wenn nicht absolutem Versagen, so doch großem Knirschen im Getriebe der deutschen Bürokratie, Politik und Wirtschaft.

Insofern ist die Gigafactory 4 die international vermutlich letzte Chance für Deutschland, allen das Gegenteil zu beweisen. Ist Deutschland noch imstande, größere Projekte innerhalb eines international üblichen Zeitplans fertigstellen, oder nicht? Der Stolz auf die eigenen Gesetze, die Umweltschutz, Bürgerbeteiligung und Datenschutz so betonen, wird immer mehr als Instrument gegen jegliche Änderung eingesetzt.

Nicht Tesla wird allerdings schlecht dastehen, wenn es zu Verzögerungen beim Bau der Gigafactory 4 kommen sollte. Die Schuld wird in der internationalen Öffentlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Deutschlands Politik und Verwaltung vergeben werden. Denn dass Tesla es kann, hat das Unternehmen mit Gigafactory 3 in Schanghai bewiesen. Wenn ein doppelt so langer Zeitplan in Deutschland nicht eingehalten werden kann, dann wird die Öffentlichkeit nicht Tesla in der Rechenschaft sehen, sondern Deutschland.

Mit anderen Worten: Deutschland hat am meisten zu verlieren, nicht Tesla. Die Signalwirkung nach außen wird verheerend sein. Deutschland wird schon jetzt digitaltechnisch immer mehr abgehängt, und niemand wird im Land eine Produktionsstätte aufbauen wollen, wenn es selbst ein prominenter Player wie Tesla nicht schafft. Dass deutsche Impotenz und Inkompetenz bei Großprojekten das Außenbild prägen soll, kann im Land niemand haben wollen.

Bitter wird aber folgendes sind: Ist Tesla nämlich erfolgreich und eröffnet die Fabrik wie angekündigt 2021, dann wird der Erfolg vor allem Tesla zugute geschrieben. Nicht Brandenburg oder Deutschland werden international gefeiert werden, sondern Tesla. Brandenburg – und damit Deutschland – werden aber zumindest nicht mehr als Verhinderer gesehen werden. Ein zumindest kleiner Gewinn. Die Reputation, dass Deutschland kann, muss man sich erst wieder erarbeiten. Und die muss man wollen.

Möchten tun wir, aber Können haben wir nicht gewollt.

Frei nach Karl Valentin

Plan B?

Eine andere Frage die sich stellt ist, ob Tesla für den Fall der Fälle über einen Plan B verfügt? Was ist wenn sich die angepeilte Fertigstellung nicht nur um ein paar Monate von 2021 auf Frühjahr 2022 verzögert, sondern es sich abzeichnet, dass sie ein Jahr oder länger verzögert sein wird? Kann Tesla kurzerhand das Projekt auflassen und stattdessen an einen anderen Standort weiterziehen? Angebotene Grundstücke gibt es en masse, jedes Land und jede Region in Europa hat Standorte und großzügige Förderungen angeboten .

Vielleicht aber auch ist es zu dem Zeitpunkt egal, und Tesla hat sich – wenn die Aktienpreisentwicklung so weitergeht wie in den vergangenen Monaten – bereits einen Konkurrenten wie Daimler oder BMW einverleibt und baut deren Fabriken um.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

3 Kommentare

  1. Was bedeuten schon die entstehenden Arbeitsplätze.
    Gerade das käme dem rechten Sumpf nun gar nicht gelegen…
    Die könnten ja die Pläne der Demontage unserer Demokratie durchkreuzen.
    Die Demonstranten gaben selber an, von der rechten Szene unterwandert worden zu sein.

    Armes „Teutschland“

    Gefällt 1 Person

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