Reflexionen zum Cybertruck

Viel wurde über den Cybertruck geredet, und nach vier Jahren Wartezeit wurden am 30. November die ersten Exemplare an Kunden ausgehändigt. Wie immer bei Tesla, wurde die Veranstaltung live gestreamt.

Den Event selbst fanden einige wenig aufregend, im Vergleich zu früheren Veranstaltungen jedenfalls. Auch wurde bekrittelt, dass Elon Musk keine Details zur Reichweite bekannt gegeben hatte, und die nachträglich gelieferten dann doch enttäuschend waren. Teurer und mit weniger Reichweite als angekündigt. Ein kleines (und schon einmal bei einem anderen Modell gezeigtes) Highlight jedenfalls war ein Drag Race des Cybertrucks gegen einen Porsche 911 (mit Verbrennungsmotor), der mit einer kleinen Überraschung endete.

Der Cybertruck hebt sich sicherlich von allen anderen Pickup Trucks hervor. Die Form, die Wahl des Materials, die darin eingeflossenen Innovationen. Und er polarisiert. Die einen lieben ihn, die anderen finden ihn grottenhässlich. Fakt ist: die Leute reden darüber und jeder hat eine Meinung. Und alleine das ist aus Marketingsicht Gold wert.

Man vergesse dabei auch nicht, dass sogenannte U-Verteilungen – also entweder lieben ihn die Leute oder sie hassen ihn, es gibt kein Dazwischen – zu besseren Produktverkäufen führt, als wenn die Meinungen dazu gleichverteilt sind. Das kennt man beispielsweise schon von Online-Modewebsites wie ModCloth, wo die Kund*Innen aus Vorschlägen wählen, welche Kleiderstücke produziert werden sollen. Dabei verkaufen sich dann nicht diejenigen Kleidungsstücke am besten, die am besten bewertet werden, sondern diejenigen, bei denen es am kontroversesten zugeht. Kund*Innen, die für das Stück sind und zugleich den massiven Gegenwind spüren, tendieren dazu, erst recht zuzuschlagen und fast schon aus Trotz das Kleidungsstück zu kaufen, um ein Statement zu machen.

Insofern könnte diese kontroversen Meinungen für Tesla und den Cybertruck ein Anzeichen für potenziell gute Verkaufszahlen sein. Auch die Vorbestellungen, die gerüchteweise sogar bei zwei Millionen liegen sollen, deuten darauf hin.

Musk selbst verwendet alle Marketingtricks, die er schon in der Vergangenheit angewandt hat, in Sätzen wie „Tesla befinde sich in der Produktionshölle“ oder „Tesla schaufelt sich sein eigenes Grab damit„. Aber er macht – wie wir es von ihm gewohnt sind – auch ganz verrückte Sachen. Man erinnere sich an den Flammenwerfer, den er aus rechtlichen Gründen als „Not-A-Flamethrower“ verkauft hat.

Während jeder andere Autohersteller sehr genau darauf achtet, wie neue Fahrzeuge der Presse präsentiert werden, leert Musk mal ein Magazin einer Waffe auf den Cybertruck gerichtet und lässt ihn dann verdreckt und mit den Dellen in der Öffentlichkeit herumfahren. Kein gestyltes Video, kein Fotos vom Fahrzeug mit Sonderlack unter entsprechend schmeichelnder Beleuchtung, sondern er lässt einfach nur einen durch Patronen eingedellten und verdreckten Truck herumfahren.

All das lässt jeden anderen Pickup Truck, wie es von einigen Twitterbenutzern verglichen wurde, wie ein „Prinzessinnenauto“ aussehen. Der Cybertruck sieht definitiv wesentlich maskuliner, bulliger, und – wie nicht wenige meinen – unnötiger aus, als alle anderen Pickups.

Wer den Cybertruck kaufen wird, ist angesichts des Preises ungewiss. Nicht wie angekündigt bei 40.000 Dollar setzt der Verkaufspreis an, sondern bei 50.000 für die einmotorige Variante, bei 80.000 für die zweimotorige, und bei 100.000 Dollar für die dreimotorige. Letztere als Cyberbeast benannte beschleunigt von 0 auf 60 Meilen pro Stunde (0-96km/h) in 2,7 Sekunden und legt die Viertelmeile in 11 Sekunden zurück. Die Reichweite liegt zwischen 402 und 547 Kilometer. Es wurde auch ein Range Extender angekündigt, nichts anderes als ein zusätzliches Batteriepaket, das auf die Ladefläche gepackt werden kann. Mehr Details zu den Spezifikationen, die teilweise noch nicht geteilt worden sind, finden sich bei Tesla.

Renommierte Designexperten wie Hartmut Esslinger von FROG-Design haben sich jedenfalls kritisch über das Äußere geäußert. In einem LinkedIn-Post sagte er ziemlich offen:

Tesla hat es geschafft, die Medien mit schnittigen PR-Fotos aus der Seitenansicht seines Cyber-Mülls zu füttern, aber ich bin diesem Monster auf der Straße begegnet und habe das hässlichste Hinterteil eines Fahrzeugs aller Zeiten gesehen. Mit brutal zusammengenageltem Blech mit Fingerabdrücken und feindseligen Kanten – potenziell tödlich im Falle von Kollisionen – beweist dieses Design, dass viel Geld einen ohnehin schon beschissenen Geschmack noch verstärkt.

AUTSCH! Ähnliche Aussagen kommen von anderen Designern, doch gilt, dass sich über Geschmack streiten lässt. Ich selbst habe den Cybertruck vor ein paar Wochen zum ersten Mal selbst live erlebt und muss gestehen, dass ich ihn als überraschend schön und interessant empfand. Auch muss ich hinzufügen, dass ich selbst eine Anzahlung für ihn gemacht habe, als er vorgestellt worden war, und nun schon eine Einladung erhalten habe, ihn zu bestellen. Ich möchte ihn mir aber nochmals selbst aus der Nähe ansehen und Probe fahren. Gestehen muss ich auch, dass ich keinen Pickup brauchen würde, aber Autokauf ist manchmal irrational und emotional.

Dabei hat Tesla mit dem Cybertruck einiges an Innovation eingebracht, die auch den Rest der Autoindustrie beeinflussen wird. Als erster Hersteller verwendet Tesla eine 48-Volt-Architektur, die schneller Datenraten und weniger Kabel benötigen und damit Gewicht und Material sparen. Speziell auch autonome Autos werden von höheren Datenraten profitieren. Nicht nur das: Tesla hat allen anderen Automobilherstellern einen Leitfaden zur 48-Volt-Architektur geschickt. Auch ist das Lenkrad nur mehr ein Steer-by-wire und hat keine mechanische Verbindung zur Achse. Das erlaubt auch, dass die hintere Achse mitlenken kann.

Sandy Munroe erklärt mehr zur 48-Volt-Architektur und Steer-by-Wire:

Wer aber ist nun wirklich das Zielpublikum für den Cybertruck? Sind es die Handwerker und Farmer, die in den USA Pickups fahren, oder eher Städter, die nach den SUVs nun auf den Geschmack kommen werden, einen Pickup zu fahren? Wenn er sich als praxistauglich erweist, dann werden nicht nur bisherige Pickup-Besitzer den Cybertruck in Betracht ziehen, sondern eben auch Publikum, das Pickups bislang nichts abgewinnen konnte. Und das bedeutet, die Verkaufszahlen könnten bisherige Rekorde in dieser Fahrzeugkategorie in den Schatten stellen. Ähnliches sahen wir bei Elektroautos. Die Fahrzeuge, die gegen Model 3 und Y eingetauscht worden waren, wie Toyota Corolla oder Honda Civic, die neuwertig nur halb soviel kosteten, zeigten, dass es ein großes Kundensegment gab, das bereit war, doppelt so viel für einen Tesla auszugeben, aber nicht für Modelle in derselben Preisklasse wie BMW 3 oder Mercedes C-Klasse. Und das könnte der Cybertruck für sich ebenso erschließen.

Ich erinnere mich noch an die Aussagen von Analysten im Januar 2010, als Apple das iPad vorgestellt hatte. Der durchgehende Konsens bei den Analysten war, dass das iPad keine Kunden finden wird, denn wer bräuchte solch ein Ding, das zwischen iPhone und MacBook seine Nische sucht? Eltern hingegen mit Kindern im Vorschul- und Volksschulalter hingegen waren begeistert. Endlich etwas, womit die die Kleinen auf langen Reisen ruhigstellen konnten. Und genau so sehe ich ein bisschen den Cybertruck. Er wird ein Statement sein, der traditionelle Pickupfahrer anziehen und neue Kundenkreise erschließen wird.

Sollte der Cybertruck Erfolg haben – und die Chance werte ich höher als 50 Prozent ein– dann wird es eine Reihe von Nachahmern geben. Das hat Tesla bislang mit allen Fahrzeugen geschafft. Ob dieses Fahrzeug allerdings nicht der Mission von Tesla – den Umstieg auf nachhaltige Energie zu beschleunigen – durch die monströsen Dimensionen und Spezifikationen widerspricht, sei dahingestellt.

Eine sehr gute Übersicht hat übrigens Marques Brownlee in einem vierzigminütigem Video zum (Beinahe-)Auslieferungsmodell des Cybertrucks gemacht

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Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

8 Kommentare

  1. Ich muss gestehen, ich weiß nicht wer diesen Truck brauchen soll. Für Handwerker scheint er mir noch am ehesten tauglich – aber wohl nicht in Deutschland. Für Jäger & Förster, vielleicht. Das Design empfinde ich (als SciFi Fan seit 40 Jahren) als hässlich. Es erinnert mich an uralt Filme wie die ersten Star Wars Episoden – so würde man heute keinen Raumgleiter mehr designen. Musk ist das egal, er wollte sein Spielzeug, nun hat er es. Wobei er ja aktuell lieber Twitter als Spielzeug kaputt macht um daraus eine X-Plattform für Trumpisten zu kreieren. Ich besitze zwei Tesla, aber dieser Truck kommt definitiv nicht dazu. Und ein 800V System ist nun auch keine echte Innovation mehr.

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  2. Achnaja, ich bin ja eigentlich ein Fan davon, Designregeln zu brechen, wie z.B. beim BMW i3. Beim Cybertruck aber erscheint mir alles viel zu gewollt. Das Ding is ein Killer, aber nicht im guten Sinne. Hat hier irgendjemand jemals probiert, was die messerscharfe bis zur Front durchgezogene Windschutzscheibe bei einer Kollision mit einem Fußgänger macht? All die scharfen Kanten, nu rum aufzufallen?

    Edelstahl hatten wir schon mal im DeLorean, und es war riesiger Mist. Bin sechs Jahre einen gefahren. Edelstahl ist brüchig, lässt sich kaum biegen, und ist bei einem Unfall hart wie Beton. 42V haben moderne Autos seit Jahren und mach per se den CAN Bus nicht schneller. 800V Fahrbatterie gibt’s bei Pirsche, und steer-by-wire hat Mercedes schon 2005 verbaut und wieder verworfen, weil das Feedback von der Straße zum Fahrer Mist war.

    Aber am Ende muss das der Käufer selbst wissen. Ich finde die Kiste weder innovativ noch attraktiv.

    Danke für den schönen Artikel.

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  3. Den CT brauche ich nicht, will ihn aber haben! Brauchte auch kein Cabrio, brauchte auch kein Wohnmobil, gibt ja Hotels! Viele müssen auch nicht rauchen oder trinken, tun es trotzdem!
    Ich WILL CT!!!!

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