Im Jahr 2020 ist es keine Frage mehr, dass Elektromobilität seinen Weg machen und Verbrennungskraftmotoren verschwinden werden. Das haben wir hier in diesem Blog oft genug ausgeführt und die Gründe belegt. Doch der teils heftige Widerstand vieler Autofahrer, Diskussionsteilnehmer und Stammtischbesucher, den ‚geliebten‘ Benziner oder Diesel aufgeben zu müssen, ist nur teilweise mit einer lieb gewonnenen Vertrautheit oder der Sorge um die 200.000 bis 300.000 damit verbundenen Arbeitsplätze zu erklären.
Es hat tiefere Ursachen, warum ‚Benzinbrüder‘ so an ihrem Verbrenner hängen, und diese haben mit dem Selbstbild zu tun. In Filmen, Medien und am Stammtisch definieren sich Männer und Frauen durch Fahrzeuge mit sattem Motorengeräusch, Benzingeruch und ölverschmierten Händen, die durch das Werken am eigenen Boliden das Leben erst lebenswert machen. Von James Dean angefangen, zu James Bond im Aston Martin und den Fast & Furious Darstellern wie Vin Diesel in ihren amerikanischen Muskelautos stellen sie das Sinnbild von Männlichkeit dar. Frauen sind davon nicht ausgenommen. Ihre Weiblichkeit und ihre Akzeptanz in diesem sozialen Umfeld definieren sich ebenfalls durch Autos. Ihr sexy Körper sich am sexy Auto räkelnd oder dieses lenkend, und Wissen um Autos machen sie in ihrer In-Gruppe Mitglied. Sind es in den USA vor allem die Rancher und Handwerker mit den massiven Pickups, sind es bei uns die tiefer gelegten Golf GTI oder in der Vergangenheit der Manta Manni, die einem in den Sinn kommen. Auch in höheren Schichten sie die Corvette, ein Ferrari oder ein Porsche das Statussymbol für den erfolgreichen Alphamann. Die Mittelschichten in diesen Ländern gleichen sich in ihrer Fahrzeugauswahl, wo SUVs dominieren.
Die Politwissenschaftlerin Cara Daggett, die über Energiepolitik und deren sozialen Auswirkungen an der Virginia Tech in den USA forscht, hat den Begriff Petro-Maskulinität geprägt, der beschreiben soll, dass es sich beim Übergang zur alternativen Energieformen und elektrischen Antriebssträngen nicht nur um eine rein technische Disruption handelt, sondern auch um eine soziale. Wenn die eigene Identität und Lebensform eng mit einer Technologie verknüpft ist, führt die Abschaffung dieser zu einer Identitätskrise. Nicht nur das von oft klein auf erworbene Wissen und die Expertise zu dieser Technologie,, ausreichend um im Freundeskreis akzeptiert zu werden, wird mit einem Schlag obsolet, auch das damit verbundene Prestige und Details wie der einem anhaftende Ölgeruch als Symbol der Männlichkeit. Der Zusammenhalt, der Status in der eigenen soziale Gruppe und die Attraktivität vor potenziellen Geschlechtspartner wird in Frage gestellt.
Daggett endet mit ihrer Analyse nicht nur hier, sie findet auch einen Zusammenhang zwischen Petro-Maskulinität und der Neigung zur Akzeptanz von autoritärem Verhalten. So werden aggressive und gewalttätige Reaktionen durch petro-maskulin sozialisierte Personen auf Bestrebungen zu einem Übergang zu nachhaltigen Energie- und Antriebsformen als gerechtfertigte Maßnahmen betrachtet. Viele Tesla-Fahrer im Speziellen haben solche aggressive Reaktionen am eigenen Leib erlebt, wenn sogenanntes Coal-Rolling oder ICING, bei der Ladestationen absichtlich durch Fahrer mit Vebrennungskraftfahrzeugen blockiert werden.

Der Besitz von, die Arbeit am, die Verdienstmöglichkeiten und die Identifikation mit Verbrennungskraftfahrzeugen ist für viele Teile der Bevölkerung finanziell und statusweise so bedeutend, dass für sie vieles, wenn nicht alles daran hängt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele ölfördernden Staaten Diktaturen sind, die von ’starken Männern‘ geführt werden, und damit im petro-maskulinen Verständnis Teil der eigenen Kultur sind.
Es kommt hier zu einer Konvergenz dreier anachronistischer Eigenschaften, die in Zeiten von Feminismus, Emanzipation und Klimawechsel bedroht sind: Maskulinität, fossile Brennstoffe und Autoritarismus.
Jede Diskussion und die Maßnahmen um nachhaltige Energie- und Antriebsformen müssen daher diesen Kontext berücksichtigen. Will man den Übergang schaffen, muss eine alternative Identifikationsmöglichkeit geschaffen werden. Tesla hat das als erster Elektroautohersteller verstanden, als sie mit dem Design sich nicht an den niedlichen oder sogar hässlichen Elektroautodesigns und nutzenoptimierten – sprich: untermotorisierten – Leistungsdaten orientierten, sondern ganz klar Kraft und Eleganz kombinierten. Ein Design wie es beim kommenden Cybertruck vorgestellt wurde, adressiert genau dieses petro-maskuline Zielpublikum und kann so deren Widerstand aufbrechen.
So schwer es manch einem fällt, das zu akzeptieren: Autos polarisieren, emotionalisieren und der erfolgreiche Übergang zur Nachhaltigkeit erfordert gerade und besonders bei dieser Technologie die Berücksichtigung solcher Empfindlichkeiten.
Apropos Benzinbrüder: so hieß ein Programm des österreichischen Kabarettisten Roland Düringer, der ein bekannter Liebhaber getunter Boliden ist. Hier ist Die Benzinbrüder Show, die auch Elektromobilisten unterhaltsam finden werden.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
Petro-Maskulinität, ein Begriff, der die Sache haargenau trifft. Dass es das ist, ahnte ich auch schon, bevor der Begriff auftauchte, und zwar immer dann, wenn auf einschlägigen E-Auto Seiten wie elektroauto-news .net oder ecomento .de in den Kommentarspalten BEV-Basher mit längst überholten Einwänden argumentierten und richtig aggressiv herumtrollten, sobald man diese Mythen mit Hinweisen auf aktuelle Fakten widerlegte. Dafür wurde man manchmal mit geradezu hysterischer Sprecherziehung abgewatscht. Sowas kannte ich davor nur aus politisch- und religiös-dogmatischen Zirkeln.
Dass es nicht um Vernunft, sondern um Emotionen geht, wurde von der Autowerbung schon immer genutzt. Mir erinnerliches Beispiel: Mercedes-Werbung für eine Shooting-Brake-Variante, die die Bedeutung des englischen Begriffs als Jagdwagen hervorkehrte und von Eroberung(!) innerstädtischer Reviere, z.B. des angesagtesten Szene-Cafes schwadronierte. Im Klartext: Dieses Auto: Das Beste für Männer mit dicken Eiern!
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Auf heise.de, telepolis ist heute, 26,11, ein zum Thema passender Artikel erschienen, quasi als aktueller Beleg zum Petrol-Machismo: „Kontrollverlust mit SUV“. Auszug:
„Bezeichnend ist…die offizielle Firmenwerbung für den BMW X6. Das ‚attraktive Kraftpaket‘ wurde demnach ‚geschaffen, um anzuführen‘. Seine ‚Attribute eines Alphatieres‘ machten ihn zum ‚idealen Leitwolf auf jedem Terrain‘. Das Design…biete eine ‚durchtrainierte Ästhetik’…’echte Muskelpakete’…’wahre Größe‘.
Der Autor des Artikels fragt dann: „Wer braucht diese Alphatiere auf seinem Terrain? Was wären Leitwölfe anderes als eine Gefahr für die Allgemeinheit?“
Anlass dieses Artikels war ein Unfall am 21.11. im Frankfurter Ostend, als ein aggressiv fahrender Lenker eines X6 einen schweren Unfall mit zwei Toten und einer Schwerverletzten verursachte, selber mit geringen Blessuren davonkam.
Die Kommentare zu diesem Artikel waren teils bagatellisierend und relativierend (hätte mit dem Fahrzeugtyp doch nichts zu tun), teils hämisch und aggressiv („hetzerischer Artikel“).
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