Der Affe auf dem Podest – Warum traditionelle Autobauer sich gar so sehr auf die falschen Technologien konzentrieren

Glaubt man den Pressemitteilungen und der atemlosen Berichterstattung in den Medien, dann scheinen traditionelle Autobauer wie Mercedes, BMW oder VW wieder mal an der Vorderfront der Technologieentwicklung zu stehen. Türkise Lichter, eine automatische Parkfunktion, die weltweit in nur einem einzigen Parkhaus funktioniert oder ein automatisierter Spurhalten-im-Stau-Assistent werden als hoch innovativ und wegbereitend angepriesen. Der Stolz steht den Patrioten ins Gesicht geschrieben, denn Tesla oder die Chinesen „könnten das alles nicht“. So der Tenor, mit dem man sich von der Schmach reinigen will, die die Welle an chinesischen, koreanischen oder amerikanischen Elektroautoherstellern den traditionellen Autobauern antun.

Doch wozu sind diese türkisen Lichter eigentlich gut? Wo will man beim Flughafen abgeladen werden? In der Garage (wie es die Mercedes Parkfunktion erfordert) oder doch eher am Terminal? Und warum soll ich für einen Spurhalten-im-Stau-Assistenten Geld ausgeben?

Warum machen sie das? Es ist einfach zu erklären: diese Funktionen sind inkrementelle Verbesserungen von Technologie, die man schon hat. Anstatt sich darauf einzulassen, eine neue Technologie zu entwickeln, die zwar besser geeignet wäre, eine große Herausforderung zu lösen, aber gleichzeitig hohe Unsicherheit mit sich bringt und deren Erfolg nicht garantiert ist, erscheint es einfacher, bestehende Lösungen weiterzuentwickeln, mit denen man auf der vermeintlich sicheren Seite bleiben und gleichzeitig Fortschritt vorweisen kann. Dabei wäre hier „Fortschritt vortäuschen“ die besser Phrase, denn einfach nur eine bestehende Technologie inkrementell weiter entwickeln kann es unmöglich machen, die Herausforderung zu lösen.

Es ist dabei wie die Frage „Wie kommen wir zum Mond?“ Bauen wir einfach eine immer höhere Leiter oder eine Rakete? Erstere Lösung ist die Anwendung und Weiterentwicklung einer bestehenden Lösung. Und sie gaukelt uns kontinuierlichen Fortschritt vor. Wir kommen dem Mond damit immer näher. Doch wir wissen, dass man mit einer Leiter nicht auf den Mond kommen kann. Eine neue Lösung muss her. Doch wir wissen anfänglich, ob die von uns ausgedachten Raketen überhaupt diese Herausforderung lösen können. Wir wissen auch nicht, wie lange es dauern wird, und welche weiteren Probleme dabei auftauchen werden. Wir könnten ebenso immer höher zu springen, damit wir fliegen lernen.

Eine Leiter bauen oder doch eher eine Rakete entwickeln, um auf den Mond zu gelangen?

Die Schlussfolgerung in leider allzu vielen Fällen ist: man baut die Leiter. Und gleichzeitig lächelt man über die Wahnsinnigen, die versuchen, die Rakete zu bauen. Bis zu dem Punkt, wo die Raketenbauer erfolgreich sind und man selbst gescheitert ist. Dann zieht man sich zurück mit den jahrelang erhaltenen Boni, die man mit vorgetäuschten Fortschritten kassiert hat, und behauptet trotzig „Wir haben nichts falsch gemacht und sind trotzdem gescheitert.“ Und das empfinden sie dann als unfair.

Astro Teller, Leiter von Googles Moonshot-Abteilung, veröffentlichte dazu vor einigen Jahren einen Blog mit dem Titel Den Affen als erstes anpacken. Darin erzählt er von einer Bekannten, die als Ziel hatte, in Frankreich zu arbeiten und damit ihr Französisch zu verbessern. Als sie tatsächlich ein Angebot erhalten hatte, in einer französischen Firma umgeben von Französischsprachigen zu arbeiten, lehnte sie ab. Sie wollte erst genug Französisch lernen, bevor sie das annehmen wollte und wollte durch fleißiges Podcast-Hören ihr Französisch aufpolieren.

Teller schüttelte nur den Kopf, denn wo lernt man am schnellsten Französisch? Wenn man selbst gezwungen ist, ständig Französisch zu sprechen. Und das macht man nicht durch Podcast-Hören, sondern indem man es selbst praktiziert. Teller verglich das mit der Errichtung einer Affenstatue auf einem Podest. Beginnt man zuerst mit dem Podest oder richtet man seinen Fokus doch eher auf die Affenstatue? Die Antwort ist klar: das Podest ist nicht das Ziel und sollte keinerlei Fokus haben. Der Affe ist das Um und Auf. Auf die Schaffung der Affenstatue sollte der Fokus liegen. Das Podest ist nebensächlich und wird erst dann wichtig, wenn die Affenstatue fertig ist.

Aber eines ist klar: an der Affenstatue zu arbeiten ist viel schwieriger als am Podest. Von Französischsprachigen umgeben zu sein und ständig Französisch sprechen zu müssen ist hart. Viel einfacher ist es passiv einem französischen Podcast zu lauschen.

Warum also entwickeln traditionelle Hersteller türkise Lichter, eine unnötige Parkfunktion für eine einzige Garage oder einen Spurhalten-im-Stau-Assistenten? Sie konzentrieren sich auf das Podest, nicht den Affen. Sie bauen die Leiter, nicht die Rakete. Sie springen immer höher, nicht das Flugzeug.

All das passt bestens in ihre traditionellen Prozesse, in ihre Belohnungs- und Bonusstrukturen. Damit wird von niemanden je etwas falsch gemacht, und beim unvermeidlichen Scheitern kann auch kaum jemand bestraft werden. Es haben ja alle alles richtig gemacht. Und diesen Satz habe ich nicht aus dünner Luft geschaffen. Nokia-CEO Stephen Elop klagte 2016 bei der Pressekonferenz angesichts der Akquisition von Nokia durch Microsoft,

Wir haben nichts falsch gemacht, aber irgendwie haben wir verloren.

Es ist einfach, heute über die FSD Beta von Tesla zu lachen, sich darin bestätigt zu fühlen, dass Cruise nach einem (unverschuldeten) Unfall in Schwierigkeiten mit den Behörden gekommen ist, dass Waymo nach vielen Jahren Entwicklung von Selbstfahrtechnologie so langsam voranschreitet. Aber es ist eben nicht einfach, den Affen anzupacken. Ein türkises Licht einbauen ist eben nur das Podest. Und genau deshalb werden es die Podestbauer nicht schaffen. Für sie ist es bereits vorbei, und sie wissen es nicht. Sie haben nichts falsch gemacht.

Apropos Affen: ich habe ein „Affenbuch“ geschrieben, also eigentlich eines zu künstlicher Intelligenz. Um genau zu sein: zwei. Das Affenbuch erschien 2020, und das Buch mit dem Titel „Kreative Intelligenz“ gerade mal vor vier Wochen. Willst du mehr zu „Affenstatuen‘ wissen, also den Leuten die neueste Technologien entwickeln und sich nicht auf Podeste fokussieren, dann möchte ich dir diese beiden Bücher ans Herzen legen.

Danke Tobias, dass du mich auf den Blog von Astro Teller hingewiesen hast.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

5 Kommentare

  1. Ich teile Deine Ansichten ja grundsätzlich lieber Mario, doch leider ist es eben auch so, dass bei Tesla auch einiges seit mittlerweile ‚Jahrzehnten‘ nicht zufriedenstellend funktioniert und die Kunden (gerade in Europa) immer wieder Rückschritte hinnehmen müssen! Ich glaube ich muss die Problemstellen nicht aufzählen, oder doch? Fehlender Regensensor -> dadurch bescheidene Funktion der SW, Abblendassistent ist mies und phlegmatisch, Phantombremsungen, miese VZ-Erkennung usw. – nicht falsch verstehen, ich liebe meine Tesla und fahre sie sehr gern, aber ich erwarte von einem Hersteller auch, dass er Probleme löst und nicht immer nur Lösungen ankündigt, die dann keine sind (Vision only bspw).

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    1. Lieber Thoralf, das ist alles nicht weit genug in die Ferne gedacht.
      Es ist gewiss nicht zu leugnen, dass viele Dinge nicht die 100% Funktion erfüllen. Bedenke, trotz allem doch kurzfristigen Erfolges von Tesla, sie sind und bleiben immer noch ein sehr junges und im Verhältnis kleines Unternehmen. Da gilt es in knappen Ressourcen die Entscheidungen zu treffen, was ihnen wichtiger erscheint, die Perfektion bestehender Dinge oder Neuentwicklungen, die mehr Erfolg und Gewinn versprechen und die das Unternehmen quasi unvergleichbar mit Alleinstellungsmerkmal machen? Zudem ergeben sich auf dem Weg zu neuen Ufern immer wieder neuartige Lösungsansätze für bestehende Probleme, nennen wir es Unzulänglichkeiten.
      Und machen wir uns nichts vor, die altgedienten Blechbieger vermögen nicht Neues mehr auf die Beine zu stellen., außer wie angeführt beleuchtete Markenembleme oder war mir persönlich so grässlich erscheint, prekäres und gewalttätiges Design ins Blech / Kunststoff „zu dengeln“. Design ist eigentlich der falsche Ausdruck, den der bedeutet primär dass die Form der Funktion folgt. Man stelle sich ein A320 mit Monsterkühlergrill und beleuchteten Airbussymbol im Winde stehend vor !?
      Das wird die Kröte sein, die wir als Kunde zu schlucken haben, oder der Tod den man sterben muss, dass eingeführte Funktion eine zeit lang nicht so zufriedenstellend arbeiten wie wir es gerne hätten, aber wenn FSD dann endlich funktioniert ist Tesla ganz bestimmt der Konkurrenz um mindestens ein Jahrzehnt enteilt.

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  2. Ohje, dieses Problem das Bestehende etwas aufzupolieren anstatt neues zu schaffen kenne ich auch von großen Softwarekonzernen :)

    Tesla hat den Markt wachgerüttelt und das 3er und das Y Model sehen ganz ok aus, dennoch hat keiner davon ein „haben wollen“ bei mir ausgelöst.

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