Die COVID-Krise hat gezeigt, auf welchem dünnen Eis sich die globalisierten Logistikketten bewegen. Just-in-Time-Delivery (JIT) wurde spätesten in den 1990er Jahren mit dem Vorbild von Toyota zum Standard in Produktionsbetrieben und speziell der Automobilindustrie. Anstatt große Warenlager zu führen, in denen die Bauteile auf Vorrat lagern und damit teures Kapital banden, wurden diese auf LKWs, die Bahn und auf Schiffe verlegt. Mit auf Stunden oder sogar Minuten genauer Präzision kommen die benötigten Komponenten in der Fabrik in der sie dann umgehend in das Endprodukt verbaut werden. In einem gut eingespielten System von Zulieferbetrieben und Herstellern können somit Kapitalkosten gespart werden.
Kommt es allerdings zu einer Verspätung in der Anlieferung, kommt das ganze System ins Schwanken. Passiert das Ganze auf einer globalen Ebene, bei der die Transporte durch Grenzschließungen oder Lockdowns zum Stillstand kommen, dann stehen auch die Fabriken. Die Unsicherheit durch den Ausbruch der COVID-Krise und die damit eingebrochenen Verkäufe, zwangen die Automobilhersteller, ihre Bestellungen zu stornieren oder drastisch zu reduzieren. Und damit zwang es die Zulieferindustrie zu ähnlichen Schritten. Bestelllungen wurden auf allen Ebenen verringert oder aufgekündigt.
Das führte eine Zulieferindustrie dazu, ihre freigewordenen Kapazitäten für andere Zwecke umzurüsten: Die Hersteller von Computerchips. Als dann einige Monate nach Beginn der COVID-Krise die Autobauer ihre Produktion wieder hochfahren wollten, wurde diese durch eine Chipmangel gebremst. Nicht fehlende Reifen oder Scheibenwischhebel behinderten die Produktion, sondern diese kleinen elektronischen Bauteile von denen heute jedes Fahrzeug mehrere Dutzend bis zu weit über hundert Stück verbaut hat.
Diese Chips oder Electronic Control Units (ECU) – auf deutsch: Steuergerät – dienen dazu vom Fensterheber, Getriebe bis hin zur Klimaanlage alles im Auto zu steuern. Die ECUs sind dabei oft direkt an den einzelnen Komponenten verbaut und im Auftrag des Herstellers von den Zulieferern eingebaut. Ein moderner VW Golf alleine hat ungefähr 75 davon verbaut.
Die Gründe
Warum aber kommt es dazu, dass vor allem diese Chips nun Mangelware in der Automobilindustrie sind? Das hat eine Reihe von Gründe, die von der Art und Weise, wie die Chip-industrie funktioniert bis hin zu einigen Unglücksfällen zu tun.
Zuerst mal muss man wissen, dass eine Chipfabrik und das Geschäft dahinter anders funktionieren als die Automobilindustrie. Eine Automobilfabrik kann in wenigen Monaten auf ein neues Modell umgerüstet werden. „Purzelt“ das Auto dann am Ende des Fertigungsbandes zu den Händlern, dann kann es Monate dauern, bis das Auto verkauft wird. Für die Umrüstung einer Chipfabrik hingegen muss man mit 18 Monaten rechnen. Die Ausrichtung, Kalibrierung, Genehmigung bis hin zu Reinraumanforderungen benötigen ihre Zeit. Fügt man dann noch spezielle Anforderungen der Automobilindustrie hinzu, die eine Ausfallsicherheit von weiter unter 10 von einer Million Chips fordert (zum Vergleich: bei anderen Einsatzzwecken liegen diese um ein oder zwei Zehnerpotenzen höher) und die dort eingesetzten Chips mit großen Temperaturschwankungen, Erschütterungen, Beschleunigungen und ähnlichem umgehen können müssen, dann wird die Sache nicht einfacher. Sobald aber die Chipproduktion in Betrieb geht, werden diese Chips sofort eingesetzt und verbaut. Müssen sie ja auch, weil die Chips sehr viel rascher veralten und neue Designs auf den Markt kommen.
Damit laufen die Chip- und die Automobilindustrie mit zwei gegensätzliche Geschwindigkeiten. Die Chipindustrie reagierte auf die Stornierungen der Automobilhersteller und -zulieferer mit der sofortigen Umrüstung der Fabriken auf die Herstellung von Chips für Unterhaltungsgeräte und Computer. Diese hatten durch den Lockdown an Nachfrage gewonnen, weil nun jeder im Home Office und Home Schooling einen Computer brauchte, und das Zuhausebleiben mit Videogamekonsolen ihren Zeitvertreib fand. Noch dazu hatten sowohl Sony als auch Microsoft ihre heiß erwarteten neuen Konsolen angekündigt, die die Nachfrage nach Chips erhöht hatten. Das alles erklärt, warum selbst 12 Monate nach der Wiederaufnahme der Automobilproduktion die Hersteller ihre Kapazitäten nicht hochfahren können.
Erschwerend kommt hinzu, dass es einen regelrechten Zoo an Chips gibt. Nicht ein Standardchip wird für die verschiedenen Steuergeräte verwendete, sondern dutzende unterschiedliche Designs. Ist nur ein Chip nicht lieferbar, kann das Auto nicht ausgeliefert werden.
Desweiteren haben Brände in einer Chipzulieferfabrik in der Nähe von Tokyo, der Eissturz in Texas und eine Dürre in Taiwan die bestehenden Kapazitäten an den Rand gebracht. Und wenn dann noch im März 2021 ein Containerschiff – die Evergreen – im Suezkanal stecken bleibt und fast zwei Wochen lang den Schiffsverkehr aus Asien nach Europa zum erliegen bringt, dann fehlen noch mehr Computerchips, weil sie in Container auf dem Meer schwimmen und nicht geliefert werden können.
Am stärksten betroffen scheinen Ford, General Motors, Fiat Chrysler (jetzt Stellantis), Volkswagen und Honda zu sein. Andere, wie Toyota, sind nicht so dramatisch betroffen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Toyota besser vorbereitet war, nachdem es durch das massive Erdbeben und den Tsunami in Japan im Jahr 2011 erfahren hatte, wie plötzliche, unerwartete Erschütterungen die Lieferketten unterbrechen können.
Die wirtschaftlichen Verluste durch den Chipmangel sind gewaltig. Ford und GM erwarten jeweils eine Gewinnreduktion von 2 Milliarden Dollar für 2021.
Mögliche Lösungen
Während manche Hersteller wie Tesla soweit gingen, die Firmware umzuprogrammieren und alternative Chips zu verwenden, haben andere dir Produktion gedrosselt oder parken die fertigen Autos auf der Halde, bis der oder die fehlende(n) Chip(s) geliefert werden, bevor die Autos zu den Händlern und an Kunden verkauft werden können.
Interessanterweise haben einige Hersteller, wie beispielsweise Ford oder Porsche, ihre Chips für Elektroautos priorisiert. So erhielten der Ford Mach-E und der Taycan eine Bevorzugung der Zuteilung von verfügbaren Chips. Das Verbrennerpendant des Mach-E, der Ford Mustang, erlebte sogar einen Produktionsstopp.
Lösungsansätze, die sich der Automobilindustrie anbieten, gibt es mehrere. Einer wäre ähnlich wie Tesla es mit der Batteriefabrik in Reno in Arizona vorgeführt hat. Anstatt Batterien extern zu bestellen ging man mit einem Batteriehersteller eine Kooperation ein, bei der man eine Fabrik gemeinsam und exklusiv für das eigene Unternehmen betreibt. Mit einer solch gegenseitigen langfristigen Zusammenarbeit gewährleistet man, dass nicht nur gemeinsam forscht und entwickelt, sondern auch bei Konjunkturschwankungen die Kapazitäten beibehält und sie von einem Lieferanten nicht anderweitig für andere Kunden und Industrien umgerüstet werden.
Ein weiterer Ansatz ist, das Problem auf einer anderen Ebene zu lösen. Statt einen ganzen Zoo an ECUs und Chips im Auto für die unterschiedlichen Komponenten einzusetzen wäre die Konvergenz auf ein oder maximal eine Handvoll an Chipvariationen ein guter Schritt. Damit minimiert man das Risiko, dass der Mangel von einem der mehreren Dutzend Chipvarianten zum vollständigen Produktions- oder Verkaufsstillstand führt.
Aber auch die Chiphersteller selbst packen das Problem an, wenn auch die Automobilindustrie mit 10 Prozent Umsatzanteil fast schon eine Nische für sie ist. So will Intel zwei neue Fabriken um 20 Milliarden Dollar bauen, und Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) will in den nächsten drei Jahren sage und schreibe 100 Milliarden Dollar in neue Chipkapazitäten investieren.
Kurzfristig hilft das natürlich nicht und die Wartezeiten und die Preise für neue Autos bleiben hoch.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
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