Immer wieder kündigen Automobilfirmen und Robotaxi-Entwickler an, dass die Aufnahme eines eigenen Robotaxidienstes vor dem Start stünde, man dabei führende Unternehmen wie Waymo einholte, und dass sich damit eine Region oder ein ganzes Land an die Spitze katapultieren und ganz vorne bei dieser Thematik mitmischen würde. Viele Medien berichten brav, die Leute sind begeistert, doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesen Ankündigungen wirklich?
Nicht viel! Aus meinen Beobachtungen in diesem Sektor, die für mich persönlich im Oktober 2010 mit einem Bericht in der New York Times, in der die Zeitung Googles Entwicklungen zu autonomen Autos vorstellte, habe ich dabei einiges gelernt. Damals waren die Google-Prototypen bereits 140.000 Meilen (224.000 Kilometer) auf öffentlichen Straßen gefahren. Am 29. April 2013 sah ich dann ein erstes Google-Fahrzeug mit eigenen Augen auf dem Highway 101 südlich von San Francisco auf der Höhe Menlo Park – und machte sofort ein Video davon. Der Bericht und die erste Begegnung sind Signale – wie man das beim Foresight, also der Kunst, die Zukunft zu prognostizieren, so sagt – die erkennen lassen, wie weit die Entwicklung einer Technologie wirklich ist und wohin sie führen könnte.
Bis heute habe ich über diesen Zeitraum fast alle Generationen der Google-, später Waymo-Fahrzeuge, in über 300 kleinen Videos – Signalen – wie dem obigen, vor die Linse gekriegt. Und nochmals 1.800 solcher Videos von über 70 verschiedenen Herstellern. Dazu muss ich erwähnen, dass ich seit 2001 in der San Francisco Bay Area wohne, das besser bekannt ist als das Silicon Valley. Kalifornien hatte weltweit die meisten zugelassenen autonomen Testfahrzeuge und Hersteller, es ist also das Epizentrum des autonomen Fahrens. Am Höhepunkt im Jahr 2019 wurden auf der Website der kalifornischen Verkehrsbehörde DMV mehr als 70 Unternehmen gelistet, die in Kalifornien eine Lizenz erhalten hatte, autonome Entwicklungsfahrzeuge auf öffentlichen Straßen testen zu dürfen. Heute, Mitte 2025 sind es „nur mehr“ etwa 30 Lizenznehmer.
Filmte ich damals vor allem vorbeifahrende Autos, kann ich seit drei Jahren auch Videos von Fahrten in Fahrzeugen von etwa einem Dutzend Hersteller, inklusive Tesla FSD auf meinem eigenen Model 3, aufnehmen. Die erste Fahrt in einem fahrerlosen Cruise machte ich im Sommer 2022 mit, die erste Fahrt in einem Waymo ein halbes Jahr später. Und seither konnte ich mehr als 280 solcher Fahrten absolvieren, wobei ich ein etwa 500 Gäste (zumeist aus Europa) mitgenommen habe, um ihnen diese Erfahrung zu geben. Es dauerte somit vom ersten Lesen über autonome Autos im Oktober 2010, zur ersten Begegnung zweieinhalb Jahre, bis zur ersten Mitfahrt nochmals mehr als neun Jahre.
Diese Zeiträume sind wichtig, denn sie geben einen ersten Anhaltspunkt, wie viel Aufwand getrieben werden muss, um autonomes Fahren zu entwickeln, und wie weit ein Hersteller in etwa mit seinen Bemühungen ist und wie ernst es ihm dabei ist. Zu berücksichtigen ist, dass die Hersteller damals von Null begannen. Mittlerweile hat sich ein ganzes Ökosystem entwickelt, das Technologien, Daten und Erfahrungen bereitstellen kann, und das die Entwicklung drastisch verkürzt. Trotzdem bleibt die Entwicklung hier kein Honigschlecken und die Entwicklungsdauer ist nach wie vor groß.
Faustregeln
Über die Jahre habe ich ein paar Faustregeln entwickelt, die auf meinen jahrelangen Beobachtungen und dem Entdecken kleiner Signale basieren. Darunter verstehe ich eben Begegnungen mit solchen Testfahrzeugen, wie häufig ich sie sehe, wo sie herum fahren, ob mit oder ohne Fahrer und so weiter. Meine Erfahrungen beschränken sich nicht nur auf die SF Bay Area. Ich bin auch in Los Angeles, Las Vegas oder Brünn solchen Fahrzeugen begegnet und mit ihnen gefahren.
Mit autonomen Fahren meine ich hier übrigens L4/L5, wobei ich nicht unterscheide, ob es rechtlich erlaubt ist oder nicht. So ist beispielsweise die Tesla FSD rechtlich ein L2-System, funktionsmäßig ist es bereits in vielen Teilen oder zielt es auf ein L4-System hin. generell ist das SAE Level-System für automatisiertes/autonome Fahren problematisch, denn manche Systeme, wie der Intelligent Park Pilot und der Intelligent Drive Pilot von Mercedes zählen als L3 oder sogar L4 und haben die rechtliche Zulassung dafür, sollten aber eigentlich gar nicht diesen Titel tragen dürfen (hier und hier).
Bevor wir loslegen: ich werde hier vor allem auf die Faustregeln eingehen und keine Analyse der einzelnen Unternehmen vornehmen. Einzig anhand des Beispiels MOIA werde zeigen, wie das angewandt wird. Tesla wiederum verlangt die Berücksichtigung anderer Faktoren, zu denen ich schon in der Vergangenheit Beiträge verfasst habe. Einerseits der immer wieder hochgespielte, aber eigentlich gar nicht so wesentliche Faktor Camera-Only von Tesla versus Kamera/Lidar/Radar-Kombination bei den meisten anderen (Beitrag hier). Andererseits der wesentlicher Teil, dass Tesla einen viel breiteren und damit langwierigeren Ansatz verfolgt. Stichwort: „den Ozean kochen“ (Beitrag hier).
Faustregel 1
Traue nicht den Pressemitteilungen, den Medienberichten oder patriotischen Kundgebungen.
Presseberichte zeigen meist nur eine geschönte, optimistische Weise, wie gut das eigene Unternehmen beim autonomen Fahren ist. Medien nehmen diese oft unkritisch auf, weil sie selbst wenig Praxiserfahrung mit dieser Technologie haben, und nicht einschätzen können, wie sich die Technologien unterscheiden und wie weit die einzelnen Hersteller damit sind. Viele Blogger oder Poster auf sozialen Medien sind oft überkommen von patriotischen Gefühlen, die mehr als glücklich sind, dass die eigenen heimischen Hersteller nun auch ganz vorne mitmischen würden und man das führende ausländische Unternehmen (bis heute ist das die Google-Schwester Waymo) nun ein- oder gar überholen würde.
Faustregel 2
Frage: Wo begegnet man autonomen Testfahrzeugen?
Sieht man sie auf dem Highway, in Städten, in Vororten oder in ländlichen Gebieten? Meine ersten Begegnungen damit waren jahrelang auf dem Highway. Dort ist das Testen einfacher, weil es keinen Gegenverkehr, keine Fußgänger, keine Kreuzungen oder Ampeln gibt. Zwar findet alles bei höherer Geschwindigkeit statt, doch oft beginnen Testfahrten – nach den ersten tausenden Kilometer auf eine Teststrecke – auf der Autobahn.
Erst danach sieht man zuerst vereinzelt, dann immer mehr Fahrzeuge in Vororten oder Städten. Das bedeutet, dass man hier nun wesentlich komplexere Szenarien zu testen begonnen hat. Städte und Vororte sind wesentlich chaotischer und aufwändiger zu erfassen. Einer der komplexesten Orte um ein autonomes Auto zu betreiben sind übrigens Parkplätze von Einkaufszentren, denn dort herrschen keine Verkehrsregeln mehr, beziehungsweise hält sich niemand dran und Autos warten, parken ein und aus, und viele viele Fußgänger sind unterwegs und schieben Einkäufe vor sich her.
Hinweis: Waymo hatte von 2014 bis 2017 etwa 40 Stück des Google Firefly-Fahrzeug auf die Straßen gebracht, die ab dann ausschließlich in Vororten und Städten fuhren. Sie wurden durch mehrere hundert Fiat-Chrysler Pacifica Minivans ersetzt.
Faustregel 3
Frage: Wie häufig sieht man die Fahrzeuge?
Finden die Begegnungen auf öffentlichen Straßen selten statt oder werden sie häufiger? Handelt es sich dabei immer um dasselbe oder im besten Fall um eine Handvoll an Fahrzeugen, mit den gleichen Nummernschildern oder Namen (Cruise-Fahrzeuge hatten Namen)? Oder sind sie so zahlreich, dass man nach anfänglicher Begeisterung sie gar nicht mehr wahrnimmt, weil sie zu einem normalen Teil des Verkehrsgeschehen geworden sind?
Hinweis: häufige Begegnungen über einen längeren Zeitraum im urbanen Bereich lassen auf ernsthafte Anstrengungen und Fortschritte schließen, allerdings nicht immer. Das beste Beispiel dafür war Uber ATG, die auf Teufel-komm-raus fuhren, und dabei eklatante Sicherheitsstandards außer acht ließen, die schließlich zu einem tödlichen Unfall und dem Ende von Uber ATG führten.
Faustregel 4
Frage: Sind Sicherheitsfahrer in den Fahrzeugen?
Sieht man diese Fahrzeuge mit einem Sicherheitsfahrer hinter em Lenkrad, oder nicht? Befinden sich noch weitere Personen im Auto, die nicht so aussehen, als ob sie technische Aufgaben übernehmen und dabei beispielsweise einen Laptop am Beifahrersitz bedienen oder irgendwo Kabel herunterhängen? Scheinen die anderen Personen Passagiere zu sein, egal ob das Mitarbeiter sind, die oft als erste angehalten sind, die Fahrzeuge für berufliche und private Zwecke zu nutzen, oder externe, firmenfremde Personen?
Hinweis: die erste fahrerlose Fahrt auf öffentlichen Straßen führte Waymo 2015 in einem Firefly durch. Erst 2018/19 wurden dann die ersten fahrerlosen Fiat-Chrysler Pacifica Minivans in Phönix auf öffentlichen Straßen gesichtet. Auch Cruise benötigte fünf Jahre (von 2013 bis 2018) bis die ersten fahrerlosen Cruise auf öffentlichen Straßen fuhren. Davor waren dutzende Fahrzeuge mit Sicherheitsfahrern in San Francisco unterwegs gewesen.
Faustregel 5
Frage: Wie viele Videos von Begegnungen und Erfahrungen mit autonomen Autos wurden veröffentlicht?
Je mehr Fahrzeuge auf den Straßen Testfahrten unternehmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie anderen Verkehrsteilnehmern auffallen und von ihnen fotografiert oder gefilmt werden. Diese Videos enden oft auf sozialen Medien und diverse Foren, die sich autonomen Autos widmen, wie auf reddit oder Facebook, teilen und diskutieren diese Videos sehr häufig.
Diese Videos dürfen nicht verwechselt werden mit Videos, die von Journalisten oder dem Hersteller selbst veröffentlicht werden. Diese sind sehr stark kuratiert und redigiert, und oft finden sich Einträge dann nur zu einem oder mehreren Zeitpunkten mit großen Pausen dazwischen. Von anderen Verkehrsteilnehmern veröffentlichte Videos erscheinen kontinuierlich, sofern der Hersteller kontinuierlich testet, manchmal auch mit intensiveren Momenten, wenn dieser Hersteller Anstrengungen intensiviert hat.
Das gern vorgebrachte Argument, dass amerikanische Unternehmen gut im Marketing seien, und beispielsweise deutsche lieber still und leise arbeiten, dafür aber dann eine tolle Technologie vorweisen könnten – in konkreten Fall also auf Teststrecken viel testen würden, und nicht so sehr auf öffentlichen Straßen – stimmt leider gar nicht. Genauso wie man ein perfektes Flugzeug nicht ausschließlich im Windtunnel entwickeln kann, sondern damit in der Realität fliegen muss, genauso müssen autonome Autos in der Wirklichkeit getestet und entwickelt werden. Es gibt zu viele Randszenarien, die man auf der Teststrecke (oder im Simulator) nicht testen konnte, noch sie vorhersehen konnte. Um gute und sichere autonome Autos zu entwickeln müssen Millionen von Kilometern auf öffentlichen Straßen unter verschiedensten Bedingungen abgespult werden.
Auf meinen Blog hat das auch Auswirkungen, auf dem ich seit Dezember 2015 von solchen Begegnungen berichte. Durch meine weltweite Leserschaft erhalte ich immer wieder Fotos und Videos von Begegnungen, die meine Leser in ihrem Heimatländern hatten, und senden mir diese. Für mich ist das auch ein Signal, wie intensiv (oder zumeist wenig intensiv) die Entwicklungsaktivitäten von dortigen Unternehmen sind.
Hinweis: auf LinkedIn beispielsweise werden mir täglich mehrere Erfahrungsberichte von anderen LinkedIn-Benutzern mit ihrer ersten Waymo-Fahrt in die Timeline gespült. Auch Zoox sehe ich aktuell immer wieder, wie auch die Tesla FSD, die stets zu kontroversen Diskussionen führt. Vereinzelt sehe ich dann Fahrberichte von anderen Herstellern wie Pony.AI,Kodiak oder Aurora und chinesischen Herstellern wie Baidu/Apollo, WeRide oder AutoX.
Faustregel 6
Frage: Wer entwickelt die Selbstfahrtechnologie?
Sieht man sich Waymo, Zoox oder Tesla an, dann sieht man, dass die Hauptkomponenten unter Federführung dieser Unternehmen entwickelt werden.
| Fahrzeug | Sensoren | Selbstfahr-software | MaaS | |
| Waymo | Nein | Ja | Ja | Ja |
| Zoox | Ja | Nein | Ja | Ja |
| Tesla | Ja | Nein | Ja | Ja |
| Cruise | Ja | Nein | Ja | Ja |
Waymo entwickelt sowohl die Sensoren als auch die Software die die Fahrzeuge durch den Verkehr steuert. Auch im Hintergrund hat Waymo eigen Software zu Simulationen und dem Betrieb eines Robotaxidienstes entwickelt.
Zoox hat zwar nicht die Sensoren entwickelt, dafür aber ein eigenes Fahrzeug, wie auch die Selbstfahrsoftware.
Tesla hat bis auf die Sensoren alles entwickelt.
Cruise hat durch die Mutter GM die Fahrzeugplattform erhalten, aber auch ein eigenes (Cruise Origin) entwickelt, wie auch die Software.
An diesen Beispielen sieht man, dass keines der Unternehmen die Entwicklung des zentralen Elements – die Selbstfahrsoftware – anderen überlässt, sondern federführend selbst entwickelt und integriert. Sobald also ein Unternehmen die Entwicklung dieser Komponente auslagert, sollte man jede der Behauptungen über den Stand der Technologie und die Zeitpläne mit Vorsicht betrachten.
Faustregel 7
Frage: Wie ist das Unternehmen aufgestellt und finanziert?
Hierbei achte ich auf die Mutter – Alphabet-Konzern bei Waymo, Amazon bei Zoox – und wie deren Erfahrung mit und Wille und Möglichkeit zur Finanzierung der Entwicklung von langfristigen Softwareprojekten ist. Auch ob diese Unternehmen von Gründern geführt werden, oder von Managern. Manager sind nicht dümmer als Unternehmer, doch sie werden anders bewertet und ihre Anreize sind andere, als die von Unternehmern und Gründern.
Sowohl bei Waymo und Amazon haben nach wie vor die Gründer wichtige Rollen, entweder also Vorstände oder als Aufsichtsräte. Beide sind sehr erfahren mit der Entwicklung von großen Softwareprojekten und haben die Finanzkraft um auch diese jahrelang durchzufinanzieren.
Bei Cruise sah man das nicht mehr. Dort ist die Mutter General Motor durch zeitlich bestelltes Management geführt, das auch ein anderes Geschäftsmodell im Auge hatte – Stichwort: PKWs an Private verkaufen, aber nicht, einen Robotaxidienst zu betreiben. Für GM, das schon Probleme mit dem Umstieg von Verbrennungskraftfahrzeugen auf Elektroautos hatte, waren die Kosten von $10 Milliarden nach 10 Jahren nicht mehr tragbar. Ein Zwischenfall war dann der Auslöser, dass GM Cruise Automation einstellte.
Faustregel 8
Frage: Wie gut kommuniziert das Unternehmen über die Entwicklung?
Die Öffentlichkeit will wissen, wie der Stand der Dinge ist. Dazu sollten die Unternehmen auch regelmäßige Updates geben, die verschiedene Themengebiete ansprechen. Ein Musterbeispiel ist der Waymo-Blog Waypoint. Dort veröffentlicht das Unternehmen Daten zu Kollisionen, Sicherheitsaspekten, wo neue Testfahrzeuge fahren um die Region navigationstechnisch zu erfassen, Erfahrungsberichte von Passagieren, technische Details zu den Fahrzeugen, den Simulatoren und so weiter. Auch sollten wir dort jede Menge an Videos finden, wie auch auf deren Repräsentanzen auf sozialen Medien. Wie aktiv sind die Unternehmen auf LinkedIn, Twitter, Bluesky, Facebook? Was teilen sie dort. Auch hier ist Waymo vorbildlich.
Ein Unternehmen, das zu verhindern versucht, Daten zu Sicherheitsaspekten zu veröffentlichen, ist schon mal suspekt. Tut sich auf den Kanälen auf sozialen Medien lange so gar nichts, dann ist da wohl nicht wirklich Fortschritt zu vermelden.
Faustregel 9
Frage: Hat das Unternehmen bereits einen fahrerlosen kommerziellen Robotaxidienst in Betrieb und testet in anderen Regionen?
Wenn das mit Ja beantwortet werden kann, dann ist es nur mehr eine Frage der Skalierung – und diese ist schwer genug. Aber dieses Unternehmen hat nicht nur die Technologie gemeistert, sondern auch die rechtlichen Hürden, Infrastruktur wie Betriebszentralen und Depots errichtet, oder sich auch die Unterstützung verschiedener Interessensverbände (wie Blindenverband, Frauengruppen, Wirtschaftstreibende etc.) sichern können.
Faustregel 10
Frage: Kann man selbst mal mitfahren?
Wie einfach machen es einem die Hersteller, mit einem solchen autonomen Auto mitzufahren? Muss man durch die Pressestelle, mit Bekannten bei diesen Firmen sprechen, oder sind sie schon mit Warteliste oder sogar schon öffentlich zugänglich? Wir dman ständig abgewiesen, oder einem mitgeteilt, dass es aktuell keine Möglichkeiten gäbe, dann ist da wohl noch nichts da, womit das Unternehmen sicher wäre einen halbwegs guten Eindruck zu machen.
Kann man dann mal mitfahren – mit oder ohne Begleiter von der Firma – stellt sich die Frage nach der Häufigkeit der Eingriffe durch einen Sicherheitsfahrer, durch das Fahrgefühl des autonomen Systems selbst, und wie häufig bei Situationen in einem fahrerlosen Auto durch einen Teleoperator oder Teleassistenten eingegriffen werden muss. Auch wie angenehm fährt das Fahrzeug? Ist es zögerlich, forsch, souverän, fährt es sehr angenehm oder mehr ruckelig und ähnelt es einem wilden Ritt?
Analyse am Beispiel MOIA
Die VW-Tochter MOIA stellte vergangene Woche das gemeinsam entwickelte Robotaxi, den ID.Buzz AD, der Öffentlichkeit vor. Dieses Fahrzeug soll ab Ende 2026 in Produktion gehen, wobei die Fertigungskapazität auf 10.000 Stück pro Jahr ausgelegt ist.
MOIA zielt dabei auf Verkehrsbetriebe und Transportdienstleister wie Uber ab, ein Gesamtpaket anzubieten, dass diese dann nahtlos in ihr Angebot mitaufnehmen können. Also ein Personenkraftfahrzeug mit allen notwendigen Sensoren (ID.Buzz AD), die Selbstfahrtechnologiesoftware und einen ganzen Stack an Mobility-as-a-Service.
Die Herausforderung für MOIA habe ich schon hier beschrieben, mit den angeführten Faustregeln lässt sich das aber schlüssiger nachvollziehen. Das Fahrzeug mit Sensoren hilft dem ÖPNV nichts, wenn die Selbstfahrsoftware nicht funktionsbereit ist – und das auf längere Sicht. Denn auch vom Partner Mobileye gibt es kaum öffentliche Videos von autonomen Fahrten auf öffentlichen Straßen. Der Integrationstest zwischen ID.Buzz AD und Selbstfahrsoftware erfordert massives Testen auf öffentlichen Straßen, und das mit Passagieren. Die Tatsache, dass bis dato andere Verkehrsteilnehmer weder zu MOIA noch zu Mobileye solche Videos veröffentlicht haben, diese Fahrzeuge damit nicht präsent sind, und damit auch nicht die hunderttausende Kilometer in chaotischem Verkehr in deutschen Städten oder in Los Angeles abspulen, zeigt, dass man noch lange nicht so weit ist.
Was immer somit 2026 hoffentlich aufgenommen werden soll, sind Testfahrten im Flottenbetrieb mit Sicherheitsfahrern. Und diese Fahrten werden einige Zeit in dieser Form stattfinden. Da ist mit 2-3 Jahren zu rechnen, bis wohl die ersten MOIA wirklich fahrerlos unterwegs sein werden. Wir sprechen also eher von einem vernünftigem Einsatz, also ohne Fahrer, für Uber oder ÖPNV-Anbieter ab dem Jahr 2029/30. Und das hat MOIA wohl nicht unter Kontrolle. Ob die Software fertig ist, hängt von Mobileye ab, sofern die nicht abspringen. Angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich die Mobileye-Mutter Intel befindet, erwarte ich da auch nicht mehr viel an notwendigem Fortschritt. Mobileye scheint wir Intel ein Walking Dead zu sein oder zu werden. Und Volkswagen wird spätestens mit einem CEO-Wechsel und dem wohl unvermeidlichen Kauf von Rivian Gelder einsparen müssen. Dass da bei MOIA der Rotstift angesetzt wird, steht da nahe. VW hat schon Argo fallen lassen, oder GM Cruise.
Potenzielle Geschäftskunden von VW/MOIA müssen damit rechnen, auf längere Sicht Fahrer für diese Autos bereitzustellen, und Fahrer sind Mangelware. Danach suchen alle händeringend. Und das alles nur, wenn VW nicht den Schlussstrich zieht.
Hinweis: meine Absicht ist nicht, MOIA oder andere schlecht zu reden. Ganz im Gegenteil: ich wünsche ihnen, dass sie erfolgreich sind und sich ihre jahrelange harte Arbeit auszahlen wird. Doch hinter all der Euphorie in den Medien und er Blogosphere sehe ich hier aufgrund meiner Faustregeln diese Dinge anders und möchte Ehrlichkeit einfordern. Irgendwie fehlen mir in dieser Berichterstattung gewisse Aspekte und Informationen, die mir die Ankündigungen als machbar erscheinen lassen. Was ich sehe und was gesagt wird passt irgendwie hinten und vorne nicht zusammen.
Es kann hier aus meiner jahrelangen Beobachtung der Szene keine Rede davon sein, dass angesichts dieser Fakten VW/MOIA für den ÖPNV oder Transportdienstleister bald eine für diese einsatzbereite und brauchbare Lösung vorweisen kann. Die Befürchtung ist, dass diese sich wie schon bei den Tests mit den „autonomen Shuttles“ von Anbietern wie Navya, Easy Mile oder Olli auch hier wieder die Finger verbrennen, wenn sie den Beteuerungen glauben dass 2027 eine schlüsselfertige Lösung bereitstehen könnte.
Schlussfolgerung
Mit diesen Faustregeln versuche ich zu evaluieren, wie weit ein Hersteller wirklich ist und wann man vernünftigerweise mit der Aufnahme eines Robotaxidienstes rechnen kann. Natürlich sind diese Zeiträume mittlerweile kürzer geworden, Unternehmen wie Waymo oder Cruise mussten noch fast bei Null beginnen. Mittlerweile hat sich eine ganzen Technologie- und Dateninfrastruktur mit erfahrenen Fachkräften entwickelt, auf die sich auch kleinere Startups und Hersteller stützen können.
Doch kann damit eine zumindest grobe Einschätzung getroffen werden, wie weit die Behauptungen der Hersteller zum autonomen Fahren von der Realität auf den Straßen wirklich ist. Ein Hersteller, der nicht schon heute in großen Stückzahlen mit Sicherheitsfahrern autonome Autos im Testbetrieb auf öffentlichen Straßen im Einsatz hat, wird kaum vor 2030 mit einem fahrerlosen, kommerziellen Betrieb von Robotaxis (oder Privat-PKWs) starten können.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
Als ich 2015 die erste fahrerlose Fahrt eines Google-Fahrzeugs als die „am wenigsten beobachtete Mondlandung der Welt“ bezeichnete, wurde ich dafür ausgelacht. Und selbst heute begreift immer noch kaum jemand, wie das zu verstehen ist.
LikeGefällt 2 Personen