Hat Mercedes aufgegeben?

Ein paar Meter vor, und dann ein paar Meter zurück. Das ist das ‚komplexe‘ Fahrmanöver, das der Mercedes-Benz Smart Vision EQ in Las Vegas vorführte. Um genauer zu sein: das ‚komplexe‘ Fahrmanöver das dieses Fahrzeug ‚ferngesteuert‘ vorführte. Aber zuerst mal langsam.

Die CES ist vorüber und wie nie zuvor wurde es klar, dass autonomes Fahren da ist. Es sind nicht mehr vereinzelte Unternehmen die sich voran trauen, es ist eine ganze Sturzflut die da über uns hereinbricht. Alleine die Liste an Unternehmen die bereits autonome Taxiflotten im Testbetrieb mit Passagieren haben, ist überwältigend. Waymo hat mehr als vier Millionen Meilen (7,2 Millionen Kilometer) autonomes Fahren im Stadtgebiet absolviert, Uber erreichte soeben 2 Millionen Meilen (3,2 Millionen Kilometer). 50 Unternehmen testen mit über 1.000 selbstfahrende Autos in Kalifornien. GM alleine hat 130 autonome Fahrzeuge in Betrieb.

Auch deutsche Unternehmen haben eine Testlizenz in Kalifornien, teilweise schon sehr sehr lange. Doch bislang hört man nur wenig oder gar nichts. Und wenn, dann meistens Ankündigungen oder sehr limitierte Berichte von Journalisten. Je länger man nur Zögerliches hört, desto mehr stellt sich die Frage, was denn die deutschen Hersteller eigentlich genau machen?

Ein Bericht über eine Testfahrt auf der CES von The Verge-Techjournalist Sean O’Kane gibt uns tieferen Einblick. Und der zeigt die erstaunliche Ambitionslosigkeit von Mercedes. Mit großem Showgehabe wurden zwei von vier Fahrspuren eines ganzen Blocks am Strip in Las Vegas für das Smart FourTwo Fahrzeug abgesperrt. Dafür, dass es gerade mal ein paar Meter nach vor und ein paar Meter zurück rollen wird. Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von 12 Meilen pro Stunde (19 km/h).

Selbst kann man es nicht steuern, weil es – als Konzept für ein autonomes Auto – über kein Lenkrad und keine Pedale mehr verfügt. Aber es steuert sich auch nicht selbst, weil offensichtlich in einem Konzeptauto kein Platz für Radar, Ultraschall- und Lidarsensoren oder Kameras ist. Zeugs, das man für ein autonomes Auto heute braucht. Deshalb fiel Mercedes offensichtlich nix Besseres ein, als das Auto ferngesteuert herumfahren zu lassen. Das aber mit Trara und Tamtam.

Sean O’Kane, der eine Testfahrt absolviert, will es selber gar nicht so richtig glauben, was Mercedes ihm da vorsetzt. Zwar versucht er das Positive zu sehen und findet es ’süß‘, aber aus seinen vorsichtig gewählten Worten, den Aufwand mit der Straßenabsperrung durch die Polizei, den anwesenden Kamerateams und Mercedes-Benz-Mitarbeitern, und dem Ergebnis – ein paar Meter vor, ein paar Meter zurück – wird uns seine Skepsis an dem was Mercedes macht deutlich. Wirklich? Während Navya, Aptiva/Lyft oder Torc Konferenzteilnehmer vom Hotel zum Konferenzzentrum autonom führten? Das ist das Beste, was Mercedes-Benz auf der CES zu bieten hatte? Drei Jahre nachdem man den F015 in ähnlicher Weise – und ebenso ferngesteuert – als die Glitzevariante präsentiert hatte?

So oder ähnlich muss es gewesen sein, als Carl Benz – noch vor dem Husarenritt seiner Frau Bertha Benz – seinen Motorwagen 1 ein paar Meter vor und zurück auf seinem Gut herumfahren ließ. Kein Wunder, dass ursprünglich kein Kunde zuschlug. Wenn nicht Bertha Benz kurzerhand den Wagen mit ihren beiden Söhnen genommen und damit zu ihrer Mutter nach Pforzheim genommen hätte, wäre Mercedes eine Randnotiz der Automobilgeschichte geblieben.

Trotzdem sagen mir immer wieder deutsche Manager aus der Automobilbranche, die deutschen Hersteller ‚wären schon weiter‘, sie reden ‚halt nur weniger‘ darüber öffentlich. Die Amis ‚reden halt vor allem viel‘, ‚da ist viel Marketing‘ und so im Spiel. Das mag man anfänglich noch glauben, je länger diese Ausrede runtergeleiert wird, desto hohler klingt sie.

Auf der CES fahren Navya, Aptiva/Lyft, Torc, Phantom.ai und weiß Gott wer noch mit ihren selbstfahrenden Fahrzeugen herum und nehmen die Konferenzteilnehmer und Journalisten mit an Bord. Jede Drei-Mann-Start-Up-Bude zu selbstfahrenden Autos fährt mit denen fleißig in der Öffentlichkeit. Im Stadtgebiet, auf der Autobahn, auf Bundesstraßen. Nur von Mercedes, VW und BMW sieht man nix und hört nur Ausreden.

Und Sean O’Kane, der als freundlicher Amerikaner sein Lächeln beibehält, kann man aus der Stimme und dem Gesichtsausdruck ablesen, was er wirklich denkt. „Wirklich, Mercedes? Das ist das Beste was ihr könnt? Habt Ihr euch eigentlich mal bei den Ständen der neuen Automobilstart-ups umgeschaut und gesehen was die zeigen? Und ihr zeigt mir das? Ein ferngesteuertes Auto? Mit meinem Twitterfeed?

Sie wollen nicht. Sie können nicht. Ich weiß dabei nicht, was schlimmer ist.

Ingenieure bei Mercedes-Benz, mit denen ich zu einem anderen Konzeptauto sprach, dem F015 – sozusagen das ‚Swarovsikisierte‘ Hochglanzkonzept eines vermeintlich selbstfahrenden Autos – erzählten mir, dass der F015 auch entweder ferngesteuert ist oder der Weg fest einprogrammiert wird. Damit man dem obersten Chef, wenn er hier ist, was vorgaukeln kann. Weniger, als was heute jedes Start-Up nach vier Wochen kann. Mercedes-Benz scheint zur deutschen Version der Potemkinschen Dörfer verkommen zu sein.

Kein Wunder, dass es zum Exodus kommt. Junge Ingenieure die bei Mercedes in diesen neuen Themen beginnen, verlassen das Unternehmen rasch wieder, weil sie merken, dass diese Aktivitäten nicht ernst gemeint sind, sondern nur Imagepflege. Zu viele Hindernisse innerhalb des Unternehmens gilt es zu überwinden. Und das kann längerfristig Karriere schädigend sein, vergleicht man die Geschwindigkeit, mit der andere vorgehen. Als Selbstfahringenieur bei Mercedes-Benz (oder VW oder BMW) gearbeitet zu haben wird in Zukunft Punkteabzüge bei Bewerbungsgesprächen bei anderen Unternehmen bringen. „Waren Sie nicht gut genug, bei einem anderen Unternehmen, das schneller war und mehr Impact hatte, unterzukommen? Mussten Sie bei Mercedes-Benz bleiben?

Mehrmals saß ich mit einigen dieser Ingenieure zusammen und schon nach wenigen Wochen war deren Enthusiasmus angesichts der Mercedes-Benz-Realität vergangen. Und die entschieden schnell. Sie verließen das Unternehmen. Weil jetzt die Zeit der Chancen ist, wo man nicht zögerlich sein darf, wenn man dabei sein und etwas bewegen will.

Die offiziellen Mercedes-Benz-Vertreter mögen ja alle das Richtige zu autonomen Fahren, elektrischen Antrieb oder Carsharing sagen, aber man merkt an der Art wie sie es sagen: Ihr Herz ist nicht dabei.

Der Smart Vision EQ soll den Stand darstellen, den wir im Jahr 2030 von Autos erwarten können. Von Mercedes aber eher nicht, weil wenn sie weiterhin so unambitioniert – fast hätte ich lahmarschig gesagt – weitermachen, dann gibt es 2030 Mercedes nicht mehr.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.